Die Linke ist nicht in der Mitte

Wenn ich schon angefragt werde, dann schreib ich doch noch einige Zeilen zum Parteitag am letzten Wochenende, resp. zum neuen Parteiprogramm der SPS:

a) Das Programm ist links. Sehr links. Aber es ist kein Rückschritt in alte Zeiten, wie dies Adrian Vatter im SF bezeugt. Es ist kein Triumph eines fundamentalistischen Linksflügels, wie dies Verena Vonarburg im Bund schreibt. Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz ist eine linke Partei. Linker als die Vatter und Vonarburg sind.
Noch jedes Parteiprogramm der SPS seit ihrer Gründung postulierte den demokratischen Sozialismus als Vision. Die SPS ist die einzige Schweizer Partei, die sich stets für den EU-Beitritt aussprach. Bei der Armee ging es schon lange nicht mehr darum, ob sich die SPS für die Armee aussprechen sollte, sondern nur ob man aus Rücksicht auf eine parteiinterne Minderheit bei den GSoA-Initiativen die Stimmfreigabe statt der Ja-Parole beschloss. Kurz: Mit keinem einzigen Entscheid rückte die Partei dieses Wochenende weiter nach links. Sie bekräftigte einfach all ihre linken Positionen, und in der Summe eines ganzen Parteiprogramms kommt das halt einfach sehr sehr links heraus.

b) Genauso wie der liberale Parteiflügel viele Kämpfe verloren hat, konnte sich auch der linksaussen-Parteiflügel nicht durchsetzen. JUSO, Cavalli, Rennwald und co wollten gar nicht auf das Programm eintreten, weil es ihnen zu angepasst war. Die 35-Stunden-Woche wurde abgelehnt. Das Programm nennt die soziale Marktwirtschaft ein Erfolgsmodell. Wachstum ist ein wesentliches Ziel in der Wirtschaftspolitik. Die Wiederverstaatlichung der Swisscom wurde abgelehnt. Und Gerechtigkeit als oberster Grundwert wurde nicht durch Gleichheit ersetzt. Das waren alles Niederlage der Parteilinken, nur wurde die Ablehnung der entsprechenden Anträge in den Medien nicht erwähnt.

c) Eine knappe Mehrheit brachte durch, dass die Überwindung des Kapitalismus auch in diesem Programm wieder explizit genannt wird. Aber anders als dies die Medienberichterstattung suggeriert, geht es dabei nicht etwa um die Propagierung der Planwirtschaft oder ähnlicher Dinge. Der ganze Abschnitt lautet wie folgt:

Die SP Schweiz war und ist eine Partei, die den Kapitalismus nicht als Ende und schon gar nicht als Vollendung der Geschichte akzeptieren will. Sie hat immer eine Wirtschaftsordnung ins Auge gefasst, die über den Kapitalismus hinausgeht. Sie wusste, dass dieses Ziel in der Ferne liegt, aber sie hat trotzdem an ihm festgehalten. Die SP Schweiz hat eine visionäre Tradition. Die Vision heisst Wirtschaftsdemokratie.

Neu hinzu kamen nun die Wörter „über den Kapitalismus hinausgeht; die ihn überwindet.„. Ich hatte diesen Antrag abgelehnt; nicht weil ich finde, dass er den Inhalt wesentlich verändern und zu links machen würde. Aber ich war der Ansicht, dass dieser Passus nur den Medien helfen würde, das Programm mit zwei Wörtern in die linke Ecke zu stellen, wie dies jetzt auch geschehen ist.
Aber: Die Ablehnung des Kapitalismus heisst nicht Ablehnung der Marktwirtschaft. Wenn wir als Vision die Überwindung des Kapitalismus postulieren, heisst dies weder, dass wir zur sowjetischen Planwirtschaft wollen, noch dass wir gegen Wachstum und Wohlfahrt sind. Es heisst nur, dass wir überzeugt sind, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte und die Erfüllung der menschlichen Zivilisation ist; und dass wir uns eine Gesellschaft erhoffen, welche auf Konzepten wie Menschenwürde und Gerechtigkeit basiert statt auf Kapitaleigentum und Ausbeutung. Und ich bin überzeugt, dass viele Leute diese Überzeugung und Hoffnung teilen, auch wenn sie mit der Formulierung „Kapitalismus überwinden“ weniger als nichts anfangen können.

d) Womit ich wieder am Anfang bin: Die SPS ist links, dementsprechend hat sie auch ein linkes Programm, dementsprechend war es auch ein sehr linker Parteitag. Wo ich den versammelten Politologen- und Jornalistenzunft recht gebe ist die Einschätzung, dass wir damit die Nationalratswahlen 2011 nicht gewinnen werden. Aber darum ging es auch nicht. Dafür gibt es Wahlkonzepte und Wahlkampagnen. Unser Wahlresultat in 12 Monaten hängt nicht davon ab, ob im Parteiprogramm die Überwindung des Kapitalismus explizit erwähnt wird oder nicht. Sondern ob wir genügend oft auf die Strasse gehen und den Ruf loswerden, uns nur noch für Machtspielchen und Parteipolitik zu interessieren.
Beim Parteiprogramm hingegen ging es darum, der Partei wieder einen Orientierungsrahmen zu geben. Sowas ist nicht für die Wahlen, nicht für die Wähler gedacht; sondern für die Partei und für die Parteimitglieder. 30 Jahre nach der letzten Programmrevision und 20 Jahren nach dem Fall des eisernen Vorhangs zu prüfen, welche unserer Grundwerte, Maximen und Ziele noch Gültigkeit haben. Und wenn immer weniger Stimmberechtigte diese Grundwerte, Maximen und Ziele mit uns teilen, dann kann man dieses Problem nicht einfach aus der Welt schaffen indem man so tut, als hätte man mit diesen Werten abgeschlossen und sei weniger links als man tatsächlich ist.

Vielleicht werden wir uns eingestehen müssen, dass das sozialdemokratische Jahrhundert vorbei ist und wir zur Nischengruppierung absacken. Vielleicht gelingt es uns aber auch, die Mitte-Wähler davon zu überzeugen, dass unsere Grundwerte mit ihren Interessen übereinstimmen; und die linken Nichtwähler davon, dass die SP bei allen Kompromissen und Taktierereien ihre Unterstützung verdient. Ich weiss nicht, in welcher Richtung es mit der Sozialdemokratie weitergeht. Selbstverleugnung kann aber sicher nicht unser Weg sein.