Wir sind die grössten, also stieren wir das jetzt durch…

http://tagesschau.sf.tv/nachrichten/archiv/2007/10/24/schweiz/gallade_tritt_zum_zweiten_wahlgang_an
Wäre ich in Zürich Mitglied der SP und nicht in Bern, wäre ich es jetzt nicht mehr. Es geht hier nicht nur um Maurer im Ständerat, sondern die SVP ohne einen extrem erfahrenen und geschickten Präsidenten und zusätzlich noch um das Verhindern von Schlüers nachrutschen. Da muss es einfach wurst sein, ob man mit Bäumle verhandeln kann oder nicht. Verlangt meinentwegen andere Verhandlungspartner, aber nicht so etwas….

Der Müllersche Senf zu den Wahlen, 1. Teil

Der geneigte Leser möge mir verzeihen, dass sich auf diesem Blog solange nichts mehr getan hat. Und dass ich nun ausgerechet mit einem und konfusen Verliererpost komme – einem unstrukturierten, unprofessionellen Versuch einer Analyse des gestrigen SP-Debakels. Aber:
– Auch wenn ich mich immer wieder über die SP ärgere und dies auch immer wieder lautstark kund tue, schlussendlich bleibt es meine Partei, schlussendlich will ich, dass sie stark ist. Und dies ist mir eigentlich noch wichtiger, als dass sie eine Politik betreibt, die sich voll mit meinen Ansichten deckt. Solange Rotgrün in der Minderheit ist, ist es auch nicht so schlimm, wenn Rotgrün regelmässig Mist produziert – aber ein starkes Gegengewicht zum reinen Bürgerblock unter Führung der SVP ist in der realen Schweizer Politik absolut zentral.
– Solange professionelle Politanalytiker, die mit eben diesem Titel ihr Auskommen verdienen, im selben Artikel behaupten, dass die SP u.a. wegen ihrer „nervigen Blocher-Kritik“ verloren, die Grünen aber „dank der kecken Abgrenzung zu Blocher“ gewonnen hätte, ist es möglich, dass auch Nicht-Profis wie ich manchmal vielleicht etwas schlaueres als das immer-wieder-abgeschriebene hinbringen können.

Für diesen ersten Post habe ich mal Datensätze auf drei Ebenen etwas genauer angeschaut: Die letzten Wahlen auf Nationaler, Kantonaler und Stadtbernischer Ebene. Und: Ich betrachte nur die statischen Ergebnisse, nicht die Wählerwanderungen, nicht die Panaschierstimmen. In einem zweiten Post will ich dann mal versuchen, qualitativer Befunde zu notieren, was mit der SP los sein könnte und wie man allenfalls reagieren müsste. Hier geht es mir einfach darum, dass ich für mich einen Überblick über die verschiedenen Zahlen und Stimmenanteile gewinne und nicht gleich wieder vergesse…
Die Detail-Zahlen aus den Überlegungen sind als Excel übersichtlicher als in HTML, daher hier nur ein Verweis auf mein File mit den Daten zu den Wahlen 07 und ihrer Vorläufer

Also, beginnen wir mit der nationalen Ebene:

Sitzverteilung 2007 (in Klammer Veränderung zu 2003):
64: Rechtsaussen (+5)
35: Rechtsbürgerlich (-4)
33: Christliche Mitte (+2)
3: Liberale Mitte (+3)
65: Rotgrün (-4)

Rechts der Mitte geht der Drift nach rechtsaussen weiter, auf der anderen Seite verliert Rotgrün an die Mitte. Innerhalb von Rechtsaussen kanabalisiert die SVP ihre Umgebung. Die Entwicklung im Linken Block wechselt alle 4 Jahre – diesmal gewinnen die Grünen auf Kosten von SP _und_ Linksaussen.
Eine Entwicklung über die Jahre ist allerdings auffällig: Die Blöcke FDP bis Rechtsaussen und CVP bis Linksaussen haben sich in den letzten Jahren ziemlich auf 50/50 eingependelt. Natürlich ist die CVP immer noch stark eine bürgerliche Partei – aber es fällt auf, dass ihre Wähleranteils-Gewinne in der urbanen Schweiz anfallen, auf dem Land verliert sie immer noch an die SVP. Gerade durch ihre lokalen Gewinne wird sie langsam zu der Mitte-Partei, die sie vorher nie war, resp. seit sie sich als Mitte-Partei gibt, hat sie lokale Gewinne.
Wenn sich die CVP diese Entwicklung realisiert und sie fortsetzt, besteht tatsächlich die Möglichkeit, dass mittelfristig ein Rechts vs. Mittelinks-Gleichgewicht entsteht. Allerdings entstünde dann die Gefahr, dass die Innerschweiz dann nur noch SVP wählt.

Noch zum Wahlkreis-Glück: SP + SVP haben je zwei Sitze mehr, als ihnen vom nationalen Wähleranteil zustehen würden. Am stärksten Untervertreten ist diesbezüglich die EVP – ansonsten ist das ganze wie schon vor 4 Jahren sehr ausgeglichen. Trotzdem besteht hier die Aussicht auf eine Korrektur-Tendenz in 2011

Auf der kantonalen Ebene sieht es noch unerfreulicher aus: Gegenüber 2003 hat Rechtaussen von 37.6% auf 39.3% zugelegt, die FDP legte ebenfalls von 14.8% auf 15.1% zu. Demgegenüber verlor Rotgrün 3%-Punkte; und innerhalb von Rotgrün verlor die SP einen Viertel der Stimmen, während die Grünen 3%-Punkte zulegten. Der Vergleich mit 2003 allein ist jedoch unzureichend. Interessanter ist es, wenn man das ganze a) kurzfristig: mit den Grossratswahlen 06 b) langfristig: mit den Wahlen seit 94 vergleicht.
In der kurzen Frist fällt auf, dass die GR-Wahlen 06 massiv vom SVP-Grössenwahn resp. seiner Abstrafung beeinflusst wurde – unterdessen ist man wieder in der Realität der langen Frist zurückgekehrt. Und in dieser Fällt auf, dass Rotgrün recht konstant bei 33-36% herumdümpelt, während Rechtsaussen und Rechtsbürgerliche konstant an die christliche Mitte verlieren; unterdessen sind CVP & EVP bereits bei 10% anbelangt. Und wenn man den nur langsamen Anstieg der EDU als Vergleich heranzieht, kann man diese christliche Mitte nicht mit den Freikirchen und der frömmeligen erklären – im Kanton Bern existiert anscheinend langsam ein Bedürfnis nach einer Mitte (allerdings wissen wir dies ja seit Leni Robert schon lange…). Und auch wenn der CVP-Sitz an Nobi ging – dass die CVP ein Vollmandat holte verdankt sie der zusätzlichen Nause-Liste. Der Junge beherrscht sein Handwerk einfach. Ein Asympath, aber clever.
Der kantonale Rechtsrutsch schmerzt zwar, ist aber eigentlich nur eine Korrektur zurück zum langfristigen kantonalen Gleichgewicht; natürlich inkl. dem Trend von SP zu Grün, welcher in Bern so massiv ist wie sonst kaum in einem Kanton.

Auch hier noch eine Nebenbemerkung: Es gab im Kanton Bern zwei Restmandate. Das eine war der 10. Sitz der SVP, das andere – der Sitz von Lumengo. Dieses Restmandat ging deutlich ans Linke Lager und innerhalb der Linken recht klar an die SP – aber bevor man darüber jubelt, dass wenigstens der 3. Sitz-Verluste nur eine peinliche Panne der Staatskanzlei war – unser 6. Sitz ist ein Restmandat!
Zweite nachträgliche Nebenbemerkung: Auf der grünen Liste waren die beiden bisherigen GrüBü-Frauen ganz vorne, dann die 3 starken GFL-Kandidaturen. In der anonymen Masse war es dann aber ganz klar: Das GrüBü dominiert die GFL auf der gemeinsamen Liste ganz massiv, steht fast geschlossen als Block oberhalb der GFL-Kandidaturen. Soviel zu Bö’s Hoffnungen, dass die Konföderation zulasten des Gewerkschafts-Flügels gehe.

Und zu guter letzt noch die Stadt Bern, und auch hier gibts interessante Aspekte, die Bund und BZ wieder mal nicht gesehen haben.
a) die FDP ist völlig stabil auf ihren ewigen knappen 16%. Die SVP hat die FDP als grösste bürgerliche Partei zwar überholt, jedoch nicht auf FDP-Kosten und auch nicht als Blockverschiebung, sondern auf Kosten der kleinen Rechtsaussen, die nun fast völlig von der Bildfläche weg sind. Gegenüber den NR-Wahlen 2003 haben SVP/SD/FPS zusammen nur gerade um 0.3%-Punkte zugelegt. Der massive Zuwachs gegenüber den Grossratswahlen 06 ist völlig unbedeutend – damals wurde die SVP für den Regierungsrats-Grössenwahn abgestraft – dass dieses Tief nur vorübergehend war, war klar.
b) Rot-Grün hat etwas verloren. Von 56.2% im 2003 und 59.4% im 2006 auf 54%. Auch hier gibt es natürlich den Rutsch von Rot zu Grün – allerdings nur wenn man die Nationalratswahlen vergleicht. Nimmt man als Vergleich die kantonalen Wahlen 06, sieht es plötzlich ganz anders aus: die SP gewinnt auf Kosten der Grünen. Dies kann ganz unterschiedliche Gründe haben: 1) Ein Trendwechsel, Grün wird endlich nicht mehr als Opposition betrachtet sondern wird auch als Regierungsverantwortlich wahrgenommen (Bern war in RGM-Angelegenheiten schon immer Schweizerische Avantgarde), 2) Grüner Imageschaden durch Daniele Jenni (müsste man allerdings auch im restlichen Kanton sehen), 3) von den Anti-SVP-Grössenwahn-Proteststimmen im 06 ging mehr an die Grünen als an die SP, dementsprechend verloren sie nun auch wieder mehr von diesen Stimmen, 4) Dies sind die ersten Wahlen, wo die Stadt Bern nicht zwischen Links-Grün und Grünliberal unterscheiden kann. Wer Grünliberal wählen wollte, wählt nicht unbedingt eine Liste die von GrüBü-Kandidaturen dominiert wird. Dies würde vor allem auch mit dem dritten Punkt übereinstimmen:
c) die langfristigen RGM-Verluste gehen nicht zu den bürgerlichen, sondern zur Mitte. Dies beinhaltet einerseits das Abdriften der GFL aus dem Rotgrünen Block zu Mittelinks (Klar von der SP verschuldet. Aber eigentlich bin ich ja froh darüber), andererseits das Wachstum der CVP. Letzteres ist besonders pikant, stand die CVP doch in der Stadtpolitik der Vergangenheit weiter Rechts als die FDP, sozialliberale Nause-Liste hin oder her. Hoffen wir mal, dass die 10%, die eine christliche Mitte in der Stadt Bern erreichen kann, auf die CVP-Fraktion Eindruck machen, denn in Stadtratswahlen wird etwas stärker auch auf die Stadtpolitik geschaut (auch wenn auch hier das nationale Image bedeutender ist).

Also, nur zur Wiederholung die für mich wichtigsten Punkte zusammengefasst:
– Die SVP hat die rechtsextremen Splitterparteien fast endgültig aufgeschluckt.
– Die modernistische Neuorientierung von Pellis FDP ist äusserst riskant. In ihren starken Kantonen verliert sie massiv Stimmen an die SVP. Wo der Freisinn aber noch nicht verankert ist, kann sie von der Neuorientierung der CVP gewinnen – enttäusche Katholen gehen entweder zur SVP oder zur FDP.
– Die Neuerfindung der CVP als sozialliberale Kraft funktioniert in den urbanen Gebieten – unabhängig vom Leistungsausweis in der Vergangenheit. Reto und Doris wirken da wunder. In den katholischen Stammlanden vertreibt man damit auch noch die letzten Anhänger.
– Auf der linken Seite wurden die oppositionellen Gruppen von den Grünen verdrängt.
– Die SP verliert gleichzeitig an die Grünen und an die Mitte. Das sieht für die SP dramatisch aus, aber etwa die Hälfte dieses Verlusts bleibt ja bei den rotgrünen Partnern.
– Die andere Hälfte, die zur Mitte drängt, schmerzt den normalen Genossen wesentlich mehr, denn alle sind sich einig, dass CVP und Grünliberale ja eben bürgerliche Parteien sind. Das stimmt aber je länger desto weniger, gerade die CVP wird langsam wirklich zur Mittepartei – nicht links, aber auch nicht rechts. Genau dieses Mitte-Publikum wählte bis anhin faut-de-mieux SP – SVP ist rechtsaussen, FDP hässlicher Wirtschaftsfilz und die CVP elende Gebetsbrüder und innerschweizer Dorfkönige. Letzteres hat sich aber _in der Wahrnehmung_ in den letzten Jahren geändert; für den urbanen liberalen Nicht-Rechten gibt es nun endlich eine Alternative rechts der SP.

Prima Vista würde ich meinen, dass sich die SP um die Verluste an die Grünen nicht gross kümmern muss – das sind politische Zwillinge; mit dem Unterschied das die Grünen im Moment das bessere Image (= den aktuelleren Namen) haben und halt monothematisch auf dem Thema des Jahres liegen. Langfristig wird sich das breitere Spektrum der SP wohl wieder durchsetzen, und sonst kann rotgrün halt eben das Oppositions-/Bundesratspartei weiterhin gut mitspielen.
Hingegen ist mir noch völlig unklar, wie man mit der neuen Erscheinung von Mitte-Parteien umgehen muss – unabhängig davon, wieviel dieser Mitte nur eine Image-Frage ist. Das werde ich mir in einem weiteren Post zusammenstiefeln, für heute reichts mal mit dieser Auslegeordnung…